Prof. Dr. Jörn Leonhard im Deutschen Marinemuseum (Foto: Deutsches Marinemuseum, Stephan Huck)

Sechs Vignetten zu Versailles

Anhand von sechs sogenannten Vignetten zeichnete der Freiburger Historiker Prof. Dr. Jörn Leonhard im Marinemuseum am 29. März 2019 ein differenziertes Bild des Versailler Vertrages.

31. März 2019

Trotz des ungewöhnlichen Termins war unser Vortragssaal am Freitagabend gut gefüllt. 60 Gäste waren gekommen, um sich von Jörn Leonhard die Geschichte des „überforderten Friedens“ erzählen zu lassen – des Versailler Vertrages, der 1919 den Ersten Weltkrieg beendete.

Der Schwerpunkt des Vortrages lag in großen, globalen Bögen und bis in die Gegenwart reichende Einordnung, nicht im Klein-Klein der Vertragsdetails.

Unter Rückgriff auf Robert Musils epischen Roman „Mann ohne Eigenschaften“, in dem der Protagonist antritt, um das monarchische Doppeljubiläum der Herrschaften Kaiser Wilhelms II. und Kaiser Franz-Josefs zu planen, zu dem es über den Kriegsausbruch und -verlust jedoch nie kommen sollte, unterstrich der Referent zunächst den epochalen Zäsurcharakter des Weltkriegs und seines Endes. Diese bekam auch ein anderer Schriftsteller zu spüren – Franz Kafka – den Leonhard in seiner ersten Vignette bemühte: Wie so viele erkrankte er gegen Kriegsende an der spanischen Grippe. Als sie ihn niederstreckte, war er Untertan der k.u.k.-Monarchie. Als er von ihr genas, war er tschechischer Bürger.

In seiner zweiten Vignette nahm der Referent die Gäste mit in die Eisenbahn. Genauer in den Wagon Nr. 2419 D, in dem 1918 der Waffenstillstand von Compiegne unterzeichnet wurde, nachdem am Tag zuvor auf einem niederländischen Bahnhof das berühmte Bild des letzten deutschen Kaisers auf dem Weg ins Exil aufgenommen worden war. Leonhard erinnerte an die langen Wirkungen von „Versailles“, die etwa in der minutiösen Re-inszenierung des Waffenstillstandes mit verteilten Rollen durch Adolf Hitler im Jahr 1940 deutlich wurde. Eben jenen Wagon 2419 D hatte er eigens aus dem Armeemuseum in Paris auf dieselbe Waldlichtung holen lassen, in der 1918 der Waffenstillstand unterzeichnet worden war.

Die Vignette „Begegnungen“ war der persönlichen Dimension des Waffenstillstandes gewidmet und zeichnete die Beschämung nach, die der berühmte Ökonom John M. Keynes bei der Requirierung deutscher Quartiere für französische Truppen in Trier verspürte.

Vignette vier zeigte, dass der Weltkrieg auch in den europäischen Kolonien die Welt unumkehrbar verändert hatte: dies bekam der Rückkehrer Kandel Kamara aus Afrika zu spüren, als er aus französischen Diensten in sein Heimatdorf zurückkehrte, aber feststellen musste, dass er zum Außenseiter geworden war und von der Dorfgemeinschaft geschnitten wurde.

Nach diesem Schlaglichtern auf Rahmenbedingungen und Wirkungen des Friedensvertrages zeichnete Leonhard in Vignette fünf den Friedensschluss selbst nach: er betonte die enorme symbolische Aufladung der Unterzeichnungszeremonie, sowie die globalen Auswirkungen des Vertragswerkes.

Vignette sechs schließlich war dem hohen Preis des Friedens gewidmet, der stellvertretend am Schicksal Woodrow Wilsons und erneut Franz Kafkas verdeutlicht wurde: beide überlebten das Kriegsende nur um wenige Jahre.

In seinem Resümee des „überforderten Friedens“ erinnerte der Referent an die Offenheit der historischen Situation und mahnte, diesen nicht aus der Expostperpektive des Zweiten Weltkrieges zu dessen bloßer und zwangsläufiger Vorgeschichte zu reduzieren.

An den faszinierenden und facettenreichen Vortrag schloss sich trotz fortgeschrittener Stunde eine rege Diskussion an.

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